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Mein Wort des Jahres – „sollen“

Jedes Jahr kurz vor Weihnachten werden in Deutschland die „Wörter des Jahres“ gekürt. Die Wörter des Jahres sollen „die öffentliche Diskussion (in Deutschland) wesentlich bestimmt und dieses Jahr besonders geprägt haben”. Kurz darauf werden im Januar dann die „Unwörter des Jahres“ gekürt, also Wörter, die man besser vermeiden sollte.

Da ich mich zwangsweise ;-) auch viel mit der deutschen Sprache beschäftige, habe ich mir gedacht, dass ich eigentlich auch mal ein sozusagen persönliches „Wort des Jahres“ wählen könnte. Und ehrlich gesagt, musste ich gar nicht lange überlegen, denn mein persönliches Lieblingswort im Jahr 2010 war das Modalverb sollen.

Ihr fragt euch vielleicht, warum ich ein Allerweltswort wie sollen solch genialen Wortschöpfungen wie z.B. „Eurorettungsschirm“ vorziehe, aber es ist ganz einfach. Ihr habt wahrscheinlich gelernt, dass man das Modalverb sollen benützt, um anderen Leuten einen Rat zu geben, wie z.B. in dem Satz „Mein Arzt sagt, ich soll weniger rauchen“. Eine etwas speziellere Form von einem Rat ist eine Aufforderung wie z.B. in dem Satz „Du sollst deine Hausaufgaben machen.“ Hier drückt die Mutter oder der Vater aus, dass er bzw. sie wünscht, dass das Kind die Hausaufgaben macht, aber natürlich nur, weil die Eltern wissen, dass es für das Kind besser ist, die Hausaufgaben zu machen und sie ihm deshalb dringend dazu raten.

Habt ihr verstanden? Mit sollen kann man ausdrücken, dass man weiß, was für andere Leute das Beste ist. Und das macht doch eigentlich jeder gern – oder etwa nicht? Ihr braucht nur mal die Nachrichten anzuschauen, da wimmelt es nur so von gut gemeinten Ratschlägen bzw. Aufforderungen: „Die Bürger sollen sich besser informieren“, „Die Politiker sollen mehr mit den Bürgern sprechen“, „Die Regierung soll Barrieren für Zuwanderer beseitigen“. Habt ihr bemerkt, hier wird gesagt, wer etwas tun soll, nämlich die Bürger, die Politiker oder die Regierung. Es wird aber nicht gesagt, wer das eigentlich möchte, wer den Bürgern, Politikern oder der Regierung die schlauen Ratschläge erteilt. Und natürlich auch nicht, wie die Betroffenen das machen sollen.

Richtig genial wird es aber erst, wenn man sollen im Passiv benutzt, denn dann weiß man weder wer die guten Ratschläge erteilt, noch wer etwas tun soll, damit die guten Ratschläge auch verwirklicht werden: „Der Euro soll gerettet werden“, „Die Steuern sollen gesenkt werden“, „Die Bürger sollen in Zukunft stärker beteiligt werden“.

Wenn ihr das verstanden habt, dann habt ihr Talent und solltet vielleicht eine Karriere als Politiker bzw. Politikerin in Betracht ziehen. Und ob ihr sollen als „Wort des Jahres“ oder als „Unwort des Jahres“ betrachtet, das überlasse ich euch….

Leserfrage – „Ist das Nomen „die Eltern“ feminin oder neutral?“

Manchmal ist das größte Problem eines Lehrers eine Frage überhaupt zu verstehen. So erging es auch mir neulich als ich in einem Kommentar zu der Grammatikseite „Das Genus (der Artikel)“ die folgende Frage gelesen habe:

„die Eltern – ist das weiblich oder neutrum?“

Natürlich ist „die Eltern“ eine Pluralform und entsprechend habe ich auch auf die Frage geantwortet:

„Das ist Plural. Im Plural gibt es keine Genusunterscheidung, also keinen Unterschied zwischen der, die, das bzw. maskulin, feminin, neutral wie im Singular.“

Trotzdem hat mich die Frage weiter beschäftigt, weil mir nicht klar, warum man diese scheinbar ganz einfache Frage überhaupt stellen kann. Jeder der überhaupt eine Frage auf Deutsch stellen kann, müsste eigentlich schon einmal gehört haben, dass es im Plural nur einen Artikel nämlich „die“ gibt.

Irgendwann habe ich dann aber verstanden, wie die Frage wirklich gemeint ist. Denn schließlich haben Nomen, die im Plural stehen, normalerweise trotzdem ein Genus. Auch wenn man es nicht sehen kann, weiß man, dass der Plural „die Männer“ von der „der Mann“ kommt und deshalb das Nomen „Mann“ maskulin ist. Und natürlich weiß man auch, dass „die Kinder“ von „das Kind“ kommt, also das Nomen „Kind“ neutral ist, usw.

Was ist also mit „die Eltern“, das müsste doch auch feminin, maskulin oder neutral sein oder nicht? Das ist aber nicht der Fall, denn „die Eltern“ ist ein Wort, das nur im Plural vorkommt. Lateinisch nennt man so ein Wort ein Pluraletantum. Und da es nur im Plural vorkommt, hat es im Gegensatz zu den meisten deutschen Nomina auch kein Genus, nicht einmal ein verstecktes. Es ist also tasächlich weder feminin, noch maskulin, noch neutral, sondern einfach „Plural“.

Natürlich gibt es in der deutschen Sprache noch mehr „Pluraliatantum“. (Das ist der Plural von Pluraletantum.) Einige davon werdet ihr sicher kennen. Zu den Pluraliatantum gehören z. B.: die Ferien, die Leute, die Kosten, die Einkünfte. Auch einige Namen für Krankheiten kommen nur im Plural vor, z. B.: die Masern, die Pocken.

Und dann gibt es natürlich auch Nomen, die nur im Singular vorkommen (Singulariatantum). Die heißen Singularwörter oder auf Lateinisch Singulariatantum (Plural von Singularetantum). Aber das ist ein anderes Thema….

Gelegentlich werde ich auch in der Deutschen Grammatik 2.0 die vielen Besonderheiten beim Singular und beim Plural etwas systematsicher beschreiben….

Welche Fragen meiner Leser ich sonst noch beantwortet habe, könnt ihr hier erfahren:

Leserfragen – Deutsche Grammatik 2.0