Steht im Nebensatz das Verb immer am Ende?

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Kaum hat man eine Grammatikregel formuliert, schon findet ein interessierter Lerner/eine interessierte Lernerin ein Beispiel, das dieser Regel widerspricht. Wer Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, dem dürfte das irgendwie bekannt vorkommen. ;)

So auch bei der Frage, ob das Verb im Nebensatz immer am Ende des Satzes steht. Wer nach der in meiner Überschrift formulierten Frage googelt, der wird auf jeden Fall eine eindeutige Antwort finden, denn bei allen Treffern steht – gerne auch fett gedruckt: „Im Nebensatz steht das Verb immer am Ende.“

Zumindest mit dem Wörtchen immer sollte man bei Grammatikregeln erfahrungsgemäß aber eher vorsichtig umgehen. Im Unterricht für Anfänger kann man die Formulierung mit immer sicher erst mal als zulässige Vereinfachung ansehen. Fortgeschrittene Deutschlerner werden aber irgendwann auch auf die Ausnahmen von der scheinbar klaren Regel stoßen, denn diese gibt es tatsächlich.

Umgangssprachliche Verbzweitstellung im Nebensatz

Ich meine damit gar nicht (nur), wie man vermuten könnte, die in der Umgangssprache um sich greifende so genannte Verbzweitstellung, von der besonders die Konjunktion weil, aber auch z. B. obwohl betroffen sind.

Die Verbzweitstellung tritt in der gesprochenen Sprache besonders häufig nach einer kleinen Sprech-/Denkpause auf.

Beispiele: Verbzweitstellung* in Nebensätzen mit weil, obwohl
Ich kann heute Nachmittag nicht zu dir kommen, weil .. ich muss ins Fußballtraining.
Gehen wir nachher ins Kino? Obwohl .. ich habe gar kein Geld.

*Die Konjunktion steht hier in der Position 0.

Die umgangssprachliche Verbzweitstellung  könnte man ja schließlich noch als unkorrektes Deutsch abtun, aber wie ihr inzwischen richtig vermutet habt ;), gibt es auch standardsprachlich völlig korrekte Nebensätze, in denen das Verb nicht am Ende, sondern in Position 2 oder 1 steht.

Nebensätze mit Verbzweitstellung (Position 2)

Nebensätze mit Verbzweitstellung entstehen z. B. dann, wenn eine Konjunktion, die eine Verbendstellung erfordert, ganz oder teilweise entfallen kann. Das ist bei der Redewidergabe mit der Konjunktion dass und bei irrealen Vergleichssätzen mit als ob möglich.

Beispiel: Nebensätze mit Verbzweitstellung (dass entfällt) – Redewidergabe
Sie sagt, sie sei krank.
(-> Sie sagt, dass sie krank sei.)

Zur Redewiedergabe siehe: Die Indirekte Rede – Einführung

Umgangssprachlich entfällt bei Verben des Glaubens, Meinens, Denkens, etc ebenfalls häufig dass.

Beispiele:
Er meint, er ist der Größte.
(-> Er meint, dass er der Größte ist.)
Wir glauben, sie kommen morgen.
(-> Wir glauben, dass sie morgen kommen.)
Ich denke, es ist besser so.
(-> Ich denke, dass es so besser ist.)

Beispiele: Nebensätze mit Verbzweitstellung (ob entfällt)
Sie tut so, als wäre sie krank.
(-> Sie tut so, als ob sie krank wäre.)
Er tut so, als wäre er der Größte.
(-> Er tut so, als ob er der Größte wäre.)

Zu als ob siehe auch: Satzverbindung – als ob

Nebensätze mit Verberststellung (Position 1)

Die Stellung des Verbs in Position 1 (Verberststellung) ist bei Konditionalsätzen möglich, bei denen die Konjunktion wenn entfällt:

Beispiel: Konditionaler Nebensatz mit Verb in Position 1
Hätte ich Geld, würde ich vier Wochen Urlaub machen.
(-> Wenn ich Geld hätte, würde ich vier Wochen Urlaub machen.)
Würde man die Steuern erhöhen, würden sich viele Bürger beschweren.
(-> Wenn man die Steuern erhöhen würde, würden sich viele Bürger beschweren.)

Siehe auch: Konditionale Satzverbindung: wenn, falls, sofern, bei

Und wenn ich jetzt lange überlege, dann fallen mir vielleicht noch weitere Beispiele ein, bei denen das Verb im Nebensatz nicht am Ende steht.  ..

Kann man die Sätze in den Beispielen oben auf Grund der Verbstellung dann nicht einfach als Hauptsätze definieren? Das würde aber ignorieren, dass die Sätze oben alle abhängige Sätze sind, also ohne den dazugehörigen Hauptsatz keinen Sinn ergeben. Und Unabhängigkeit des Satzes ist neben der Verbstellung ein weiteres wichtiges Kriterium für die Unterscheidung von Haupt- und Nebensätzen.

Deshalb formuliere ich summa summarum die Regel für die Stellung des Verbs im Nebensatz lieber so: „Im Nebensatz steht das Verb normalerweise am Ende.“ ;)